Rheinischer Merkur, Nr. 16 (18.04.2002)

Denkfehler inbegriffen

Schon Stichproben zeigen: Das Werk will aufklären, aber es verwirrt eher. Der Rezensent widerspricht der Bilanz des Autors.

Autor: NORBERT FELDHOFF

Noch bevor das Buch "Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland" in diesem Frühjahr auf dem Markt war, machte ein Artikel im Magazin "Der Spiegel" vom 3. Dezember 2001 auf die bevorstehende Neuerscheinung aufmerksam - mit Erfolg. Das Buch wurde landauf, landab in den Medien kommentiert.
Das Interesse ist berechtigt. Drei Jahre hatte der Hamburger Politologe Carsten Frerk in mühsamer und umfangreicher Recherche den Reichtum der Kirchen in Deutschland zu erkunden versucht und kam zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass den Kirchen Geldvermögen in der Größenordnung von rund 87 Milliarden Euro zur Verfügung stehen und dass 351 Milliarden Euro "an kapitalisierbarem Vermögen in den konfessionellen Sektoren vorhanden" seien. Dass die Kirchen unglaublich reich sind, wussten eigentlich schon alle, vor allem die Kritiker. Aber dass sie so reich sind...!

In einen Topf
Zur eigenen Überraschung stellte der Autor am Ende seiner Untersuchung dann noch fest: "Es ist verblüffend, wie wenig die Kirchen selbst über ihr Vermögen wissen." So stellte der Bonner "General-Anzeiger" (27.2.2002) auch fest: "Die Zahlen, die er (Carsten Frerk) nennt, vermag in den beiden Kirchen niemand zu bestätigen oder zu korrigieren." Wer hat auch schon die Zeit und die Möglichkeit, sich mit dem 436 Seiten starken Buch mit 170 "Übersichten" und elf Diagrammen umfassend auseinander zu setzen? Vielleicht genügt aber schon ein kritischer Blick auf den Ansatz des Buches, verbunden mit einigen Detailstichproben, um zu einer Einschätzung des Werkes zu kommen.
Hauptziel des Buches ist, das Vermögen der Kirchen in Deutschland darzustellen. Dabei unterscheidet der Autor sorgfältig zwischen der "verfassten" Kirche, den Werken und Organisationen, die von den Kirchen selber zu "ihren" Organisationen gezählt werden, Unternehmen und Werken, die den Kirchen gehören, und solchen, die sich zwar im oder für den Raum der Kirchen wirtschaftlich betätigen, ihnen aber weder rechtlich, finanziell, organisatorisch oder personell verbunden sind. Die Unterscheidung wird in den einzelnen Abschnitten auch immer wieder angesprochen. Dennoch wird am Schluss in einen Topf geworfen, was nicht in einen Topf gehört.

Keine Konzerne
Die Kirchen sind Glaubensgemeinschaften und keine Wirtschaftskonzerne. Die Einheit im Glauben hat noch lange nicht zur Folge, dass kirchliche Vermögen sehr unterschiedlicher Träger wirtschaftlich zusammengerechnet werden dürfen. Selbst die katholische Kirche, die im Papst und den Bischöfen ein klares Lehr- und Leitungsamt hat, entfaltet ihre Aktivitäten seit Jahrhunderten in wirtschaftlich selbstständigen Organisationen und Trägern, deren Zusammenfassung und Addition wirtschaftlich keinen Sinn macht, da hier eine Einheit vorgetäuscht wird, die es tatsächlich nicht gibt - trotz Papst und Bischöfen.
Es gibt als wirtschaftliche Größe "die katholische Kirche in Deutschland" nicht. Der Versuch, es dennoch so darzustellen, muss an den Tatsachen scheitern, und es darf nicht wundern, dass ein solcher Versuch keine Transparenz schafft, sondern eher noch größere Verwirrung stiftet.
Um dem Verdacht zu begegnen, hier solle etwas verschleiert werden, ein Beispiel aus dem weltlichen Bereich: Die Stadt Köln mit über einer Million Einwohnern ist bekanntlich wie alle Städte und Gemeinden in Deutschland eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Es ist absolut sinnvoll, das Vermögen der Stadt und der rechtlich mit ihr verbundenen Unternehmen zusammenzufassen und zu würdigen.
Es würde aber überhaupt nicht weiterhelfen, wenn man den Versuch machte, das Vermögen im "Raum Köln" oder im "Sektor Köln" zusammenzustellen, also das Vermögen der Industrie- und Wirtschaftsunternehmen, der Banken und Versicherungen, der Vereine und Verbände im Raum der Stadt Köln (von den Privatpersonen wollen wir einmal ganz absehen).
Selbst wenn es wirtschaftliche Beziehungen zwischen einzelnen Einrichtungen mit der Stadt Köln gibt, Gewerbesteuern auf der einen Seite und Zuschüsse auf der anderen Seite, macht es keinen Sinn, die Vermögenswerte aller dieser Institutionen zusammenfassend als das Vermögen von Köln darzustellen.
Mit dem Erzbistum Köln, das ebenfalls eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, ist es nicht anders. Es ist durchaus sinnvoll und berechtigt, nach dem Vermögen dieser Körperschaft und der rechtlich mit ihr verbundenen Unternehmungen zu fragen. Aber schon die 796 Kirchengemeinden, die jeweils wiederum Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und deren Haushalte ebenso wie der Haushalt des Erzbistums Köln veröffentlicht werden, und die weit über 1000 Verbände und Einrichtungen, die zweifellos zur katholischen Kirche gehören und sich im Raum des Erzbistums Köln befinden, können wirtschaftlich nicht mit dem Erzbistum Köln zusammengerechnet werden. Wer es dennoch versucht, muss sich über die Sinnlosigkeit des Umfanges klar werden. Er könnte dann auch die Bilanzen der Kreissparkasse, der Ford-Werke und der Stadt Köln zusammenführen.
Man kann dem Buch nicht vorwerfen, dass es vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, im Gegenteil, es wird ein Wald vorgetäuscht, wo es nur einzelne Bäume und Baumgruppen gibt, und diese werden nicht einmal immer richtig gesehen, was zu gravierenden Fehlschlüssen führt.

Einfache Rückfrage
Frerk weist - zur Beruhigung der Kölner Bistumsverwaltung - die oft geäußerte Behauptung oder Vermutung zurück, das Erzbistum Köln sei das reichste Bistum der Welt. Er stellt dann aber zur Überraschung aller Kenner fest, dass der Erzbischöfliche Stuhl zu Köln tatsächlich der reichste in Deutschland sei (S. 415). Da die Einnahmen des Erzbischöflichen Stuhls von Köln nicht publiziert werden, wird somit unterstellt, dass es neben dem Haushalt des Erzbistums noch beträchtliche Vermögenswerte und Einnahmen gibt, über die der Erzbischof und das Erzbistum verfügen können. Eine einfache Rückfrage beim Erzbistum Köln hätte ergeben, dass in Köln seit Menschengedenken Vermögen und Einnahmen des Erzbischöflichen Stuhls nicht getrennt vom Vermögen und den Einnahmen des Erzbistums geführt werden. Alle Einnahmen aus dem Vermögen des Erzbischöflichen Stuhls in Köln fließen in den Haushalt des Erzbistums. Im Haushaltsjahr 2002 wird mit Gesamteinnahmen von 50 Millionen Euro gerechnet.
Vielleicht kann man dem Autor noch zugute halten, dass es in anderen Bistümern durchaus in Übereinstimmung mit kirchenrechtlichen Zuordnungen eine getrennte Rechnungslegung für Bistum und Bischöflichen Stuhl gibt. Aber bevor man aus allgemeinen Überlegungen eine massive Behauptung aufstellt, muss man genauer recherchieren, was nicht geschah.

Vollständige Angabe
Noch schlimmer wird es, wenn einfach falsch zitiert wird und aus dem falschen Zitat dann wieder abenteuerliche Folgerungen gezogen werden.
Frerk behauptet, dass im Haushalt des Erzbistums Köln Einnahmen aus Vermögen völlig fehlen (S. 75). Er unterstellt, dass die Angaben im Haushalt des Erzbistums über staatliche Leistungen zu gering seien, und folgert daraus, dass im Haushalt des Erzbistums auf der Einnahmenseite rund 400 Millionen Mark fehlen. Als Quelle zitiert er einen Aufsatz "Wo bleibt die Kirchensteuer?".
Die Quelle belegt aber nicht die Aussage Frerks, im Gegenteil, dort wird eindeutig festgestellt, dass der Haushalt des Erzbistums Köln 1993 auf der Einnahmenseite unter anderem mit 167787891 Mark (11,91 Prozent) aus "Erträgen aus Vermögen, Verwaltung und Betrieb" gespeist wurde. Dort wird auch angegeben, dass die Einnahmen des Erzbistums zu 9,6 Prozent aus Zuschüssen aus öffentlichen Kassen stammen. Diese Angabe ist vollständig und bedarf keiner Ergänzung.
Es ist für einen Autor, der Transparenz und Klarheit schaffen will, schon erstaunlich, wie er zu seinen Ergebnissen kommt. Durch falsche Zitate und nicht beweisbare Unterstellungen hat das Erzbistum Köln schnell einmal 400 Millionen Mark mehr an Einnahmen.
Noch ärgerlicher freilich sind Frerks Festellungen zum Thema "Versicherungen" (S. 269 ff.). Seit Jahren gibt es die nicht bewiesene These, dass das Erzbistum Köln an Versicherungen beteiligt sei. Die These ist falsch und konnte deshalb bisher auch noch nie bewiesen werden. Auch Herr Frerk konnte diesen Nachweis nicht führen, obwohl er sich ausführlich mit dem Thema befasst.
Den erstaunlichsten Fehler macht er allerdings bei der Bewertung des Vermögens der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Köln (KZVK). Frerk zitiert angeblich aus dem 18. Tätigkeitsbericht der KZVK über das Geschäftsjahr 1998, Seite 7 (S. 276), wenn er feststellt: Die KZVK hat "Kapitalanlagen von 13245,7 Millionen gebildet (ohne die Rückstellungen für zukünftige Leistungen, die sich zusätzlich auf 13,5 Milliarden Mark belaufen)".

Einfach addiert
In der Klammerbemerkung kommt Herr Frerk zu einer völlig richtigen Erkenntnis, dass nämlich die Rückstellungen für zukünftige Leistungen nicht als (freies) Vermögen bewertet werden können. In seiner tabellarischen Übersicht (Nr. 125, S. 277) gibt er deshalb als Kapital der KZVK "nur" einen Betrag von 13245700000 an. Diesen Betrag wertet er also als freies Vermögen, das der Kirche zugerechnet werden kann oder muss.
Wer in die Bilanz der KZVK per 31.12.1998 schaut, stellt fest, dass Herr Frerk zwar zwei Zahlen richtig aus der Bilanz wiedergegeben, aber in einem für solch eine Veröffentlichung unentschuldbaren Denkfehler absolut falsch zugeordnet hat.
Nach der Bilanz hat die Kasse am Stichtag (31.12.1998) ein Vermögen an Kapitalanlagen von 13,245 Milliarden Mark. Diese Zahl ist in dem Buch korrekt wiedergegeben.
Darüber hinaus führt der Autor in Klammern den weiteren Betrag von 13,5 Milliarden Mark an, den er gedanklich zu dem erst genannten Betrag addiert. Dieser zweite Betrag von 13,5 Milliarden Mark entstammt exakt der Passivseite der Bilanz. Dort stehen, wie in jeder Bilanz üblich, die Verpflichtungen, und auf der Aktivseite steht, wie die Verpflichtungen finanziert sind. Das Addieren dieser beiden Werte kann man nur als unentschuldbare Unwissenheit oder als groben Unfug bezeichnen.
Einem Menschen, der nicht gewohnt ist, mit Bilanzen umzugehen, kann man diesen nicht entschuldbaren Fehler an folgendem einfachen Beispiel deutlich machen: Ein Mann nimmt 100 Euro ein und gibt 110 Euro aus. Er hat also in seiner Kasse ein Minus von zehn Euro. Wenn man die Einnahmen und Ausgaben addiert, kommt man zu der überraschenden "Erkenntnis", dass dieser Mann 210 Euro besitzt!
Wenn man so weit ist, kann man ruhig sagen: Herr Frerk, ich widerspreche Ihrer Bilanz über "Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland". Sie gibt die tatsächlichen Verhältnisse nicht richtig wieder, sie dient nicht der Aufklärung, sondern schafft Verwirrung. Ein Prüfer würde diesem Buch wegen grober sachlicher und rechnerischer Fehler das Testat verweigern.

Der Autor ist Generalvikar des Erzbischofs von Köln.

 

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