Michel e.V.

 

Ein ‘Vereinsmeier’ sei der typische Deutsche - wer hat das eigentlich behauptet? Wir blicken uns um, fragen uns, wo er denn ist: der typische Deutsche. Ich bin es nicht, der ist es nicht, der auch nicht ... und ein Phänomen soll es sein, das vorwiegend unter deutschen Männern auftritt?

 

Die Sprachgeschichte bestätigt es: War ‘Vereine’ im Spätmittelhochdeutschen noch ein Femininum (weibliche Stammform), ist es seit dem 18. Jahrhundert als ‘Verein’ ein Maskulinum (ein Muskelteil).

„Wenn drei Deutsche zusammen sitzen, dann gründen sie einen Verein.“ Der Urheber dieser weit verbreiteten Meinung ist genauso unbekannt, wie die Aussage falsch ist: die Mindestmitgliederzahl bei der Eintragung eines Vereines ist mit sieben festgelegt.

Festgelegt? Natürlich gibt es in Deutschland Vorschriften darüber, was ein Verein ist. Da herrscht Ordnung. Das ist schließlich der Zweck seiner Gründung: die Ordnung. Briefmarken tauschen kann jeder mit jedem, es kann auch jeder einen Fußball nehmen und mit anderen Menschen eben Fußball spielen - das ist allerdings alles nur Spaß. Richtig ernsthaft wird es erst, wenn diese Dilettanten einen Verein für ihr Tun gründen und schon dadurch professionell werden.

„Das ist eine Professionelle“ - und jeder Mann weiß, dass er das, was eigentlich ein natürlicher Spaß ist und ihm unter Amateuren nicht in Rechnung gestellt wird, bei einer Professionellen bezahlen muss. Der Übergang des vereinslosen Spaß an der Sache, wird also in der Vereinsform zu einer Angelegenheit, bei der Geld eine Rolle spielt, und da hört bekanntlich der Spaß auf.

Ein Verein, der sich den Zweck gesetzt hat, Unordnung zu stiften, und sich unter dem Namen ‘Chaos-Verein’ registrieren lassen wollte, hätte keine Chance. Er müsste sich mit der Form eines ‘Chaos-Clubs’ begnügen, was allerdings wieder typisch ist - denn seit wann entsteht Chaos aus der Organisierung desselben?

Ein Club allerdings ist ein relativ rechtsfreier Raum, in dem im Gegensatz zum Verein auch sonst öffentlich nicht geduldete Handlungsweisen erlaubt sind. In einer an britischer Lebensweise orientierten Gesellschaft war ein ‘Club’ früher einmal etwas Feineres: die Arbeiter hatten ihren Sportverein, die Bürgerlichen ihren Hockey- oder Tennisclub. Erst im Zuge des Massensports bildeten sich auch gewöhnliche Tennisvereine und die Bezeichnung Club hat sich in den Bereich der organisierten Sexualität verlagert, in die Sauna-Clubs, die Partnerschafts-Clubs, usw. - die mit den Vereinen allerdings wieder gemeinsam haben, dass der/die Interessierte eine Mitgliedsgebühr zu bezahlen hat und sie exklusiv sind: Nur für Mitglieder!

Diese Zugehörigkeit kann man sich bei großen Vereinen auch an die Kleidung stecken, ins Revers oder an die Bluse - schließlich will man öffentlich kundtun, dass mensch dazu gehört, zu dem Verein.

Parteien sind schließlich auch Vereine. Sie heißen nur nicht Verein, da in obrigkeitsstaatlicher Tradition ein Verein früher keine politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zwecke verfolgen durfte. Tat er das dennoch, war er nicht rechtsfähig. Also wurde Ordnung in die Vereinsmeierei gebracht, indem politische Vereine Parteien genannt wurden, sozialpolitische Vereine Gewerkschaften und religiöse Vereine Kirchen.

Erinnern wir uns, das Wort Verein kommt von dem früher gebräuchlichen, heute nur noch poetisch gebrauchten ‘sich vereinen’. Und das Wort wird noch heute dort gebraucht, wo es seine glücklichste Verwendung findet: in der Liebe. Die rechtliche Form dieser Vereinigung nennt sich: Ehe. Wie alle Körperschaften, die Nicht-Vereine sind, mit einem eigenen Gesetz ausgestattet, kann es natürlich kein Verein sein, da normalerweise die Mitgliedschaft von sieben Personen nicht erreicht wird, üblicherweise auch nicht Zweck dieser Vereinsgründung ist. Also ist das auch kein Verein. Nun steht aber diese Zweisamkeit in einem größeren Zusammenhang, die durch das Wort Familie bezeichnet wird. Im engeren Sinne von Vater-Mutter-Kind(er) wird die notwendige Mindestmitgliedschaft für einen Verein heutzutage normalerweise nicht mehr erreicht, im weiteren Sinne der Familie als Verwandtschaft aber durchaus. Warum hat diese Sippe eigentlich nicht die Rechtsform eines Vereins? Dann käme durchaus mehr Ordnung und Übersichtlichkeit in das, was nur etwas mager im Familienrecht gesetzlich geregelt ist. Schon allein die Frage, wer den Vorsitz in diesem Verein hätte, wäre eine durchaus klärende Diskussion manchmal trüber Beziehungen. Wissen sie tatsächlich, mit wem sie alles verwandt sind? Sie würden sich wundern!

So wie der deutsche Adel zu einem Verein geworden ist, gibt es andererseits, und jedem bekannt, Vereine, die überhaupt keine Vereine (mehr) sind. Nehmen wir als Beispiel den HSV, den Hamburger Sportverein. Tatsächlich ein mittelständisches Wirtschaftsunternehmen und entsprechend, da keiner so recht dafür die Verantwortung übernehmen will, eine (Spielbetriebs-)GmbH. Der Vereinszweck ist schließlich nicht mehr, beispielhaft in der Fußball-Abteilung, dass Hamburger sich als Mitglieder zu sportlichen Aktivitäten treffen, also selber Fußball spielen, sondern er hat sich dahin gewandelt, dass vertraglich bezahlte sportliche Mitarbeiter Geld bewegen.

Wenn schon die Fußballvereine nicht mehr das sind, was sie einmal waren, dann ziehen wir uns doch lieber auf die Vereine zurück, wo noch deutscher Frohsinn herrscht und so ein richtiges Vereinsleben gepflegt wird: die rheinischen Karnevalsvereine.

Lustig geht’s da zu und, historisch begründet, gehört die ‘Veräppelei’ des preußischen Militärs, damals Besatzungstruppen im Rheinland, zu seinen wunderbarsten Elementen: die Prinzengarde mit dem leckeren Funkenmariechen, die dicken Fassnachtsoldaten, die sich die Ärsche reiben: da kommt Freude auf, denn das war einmal eine köstliche Verspottung des preußischen Militärs. Aber irgendetwas muss dann schief gelaufen sein. Lag es daran, dass das Feindbild abhanden gekommen ist, indem das preußische Militär mit seinem berüchtigten Drill von der Geschichte abgeschafft worden war, oder lag es vielleicht daran, dass es in einem deutschen Verein sehr ernsthaft und korrekt zugeht?

Ernsthaft Karneval zu feiern ist eigentlich schon ein Widerspruch in sich selbst oder kennen Sie jemanden, der sich einen Witz ernsthaft ausgedacht hat?

Nun kann natürlich Karneval nicht ‘einfach da’ sein oder aus dem ‘Nichts’ kommen. Da müssen Räume gemietet, Musik bestellt, Girlanden aufgehängt und alle weiteren notwendigen Dinge geordnet werden, damit die Fröhlichkeit den rechten Rahmen findet.

Haben Sie schon einmal die Ernsthaftigkeit erlebt, mit der dann Karneval gefeiert wird? Den harten Drill der Prinzengarde, der sogar bei den Preußen zur Fahnenflucht geführt hätte - aber die Karnevalisten scheinen eher dem Prinzip zu huldigen: „Wer fröhlich sein will, der muss leiden“. Nun kann man das alles aber nicht dem Zufall überlassen. Wenn für den Frohsinn gerade mal drei Tage vorgesehen sind, dann muss es schon perfekt organisiert sein. So wie auf einer Pauschalreise nach Rom sich nicht jeder Teilnehmer den Vatikan ansehen kann, wenn mensch es will, sondern wenn es ‘dran’ ist und wenn es alle - gleichzeitig! - tun, so darf auch bei dieser knapp bemessenen Fröhlichkeit keiner aus der Reihe tanzen. Das alle ‘Helau’ oder ‘Alaaf’ schreien - gleichzeitig! - und auch alle wissen, wann sie fröhlich sind, dafür gibt es dann vorher einen Tusch als Signal zur Fröhlichkeit. Und dann alle - gleichzeitig! - mit vereinten Kräften schunkeln.

Nun muss man aber der Gerechtigkeit willen anmerken, dass es nicht am Prinzip des Vereins liegt. Es gibt, bleiben Sie ruhig fröhlich, auch ‘oppositionelle’ Karnevalsvereine, bei denen man ungestraft an den falschen Stellen lachen kann und nicht unter den Tisch geschunkelt wird. Aber das sind dann die schief angesehenen Vereine - bei denen ist alles viel zu ungezwungen.

Apropos ‘ungezwungen’. Wenn jefrau bei dem Funkenmariechen im Anblick der schlanken, strammen Schenkel und dem Hochwirbeln, bis dass das Spitzenhöschen flattert, ‘Sexismus’ schreit - sie irrt. Allerdings anders, als vermutet. Auch das Funkenmariechen war früher ein Mann. Erst die Nationalsozialisten fanden es einem ‘deutschen Mann’ unziemlich, in Frauenkleidern herumzuturnen und erst seitdem ist das ‘Mariechen’ tatsächlich eine Frau. Dabei ist es dann geblieben. Sogar in dem Kölner ‘Dreigestirn’ - Prinz, Bauer, Jungfrau - hat es zweimal tatsächlich eine Frau als Jungfrau gegeben. Doch dieser Unsinn wurde schnell rückgängig gemacht. In Köln sind nur (wohlhabende) Männer Jungfrauen!

So, wie in Deutschland keine Revolution auf den Bahnhöfen stattfindet, weil (nach W. I. Lenin) 'der Deutsche’ sich erst eine Bahnsteigkarte kaufen müsste, ist Fröhlichkeit ohne Narrenkappe etwas Verdächtiges. Erst die Narrenkappe, mit ihren verschiedenen Vereinsfarben und Narrengraden - ja, es gibt auch Obernarren, das sind die, die am wenigsten zu lachen haben - verleiht den kasernenhofmäßigen Festsitzungen das besondere Erlebnis des ‘vereint fröhlich’.

Also, fragt sich der unbedarfte Mensch, wenn die Organisierung das Gegenteil von dem bewirkt, was (vielleicht) einmal Vereinszweck war, was bedeutet eigentlich ‘Verein’?

Fangen wir ‘ganz oben’ an: Die Freiheit einen Verein zu gründen, hat Verfassungsrang und gehört zu den Grundrechten jedes Deutschen (Grundgesetz Art.9, Abs. 1: „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“).

Nun ist allerdings ein Verein nicht gleich einem Verein. Innerhalb der ‘juristischen Personen’ wird zwischen Vereinen und Gesellschaften unterschieden (Stiftungen lassen wir der Übersichtlichkeit halber beiseite). Das eingetragene Vereine etwas ‘Besseres’ sind als Gesellschaften - haben sie das Zauberwort ‘eingetragen’ wahrgenommen ? - das wird daran deutlich, dass Vereine, die nicht die Voraussetzungen erfüllen, um ‘e.V.’ zu sein, automatisch den Gesellschaften zugeordnet werden.

Es ist also eine Art Zweiklassensystem nach dem Prinzip der Hundezüchter, die nach ‘rasserein’ und ‘Bastard’ klassifizieren. Um in dieser Terminologie zu bleiben, sind die ‘rassereinen’ Vereine, die dann das Prädikat ‘e.V.’ im Namen führen, deren „Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist“. Punkt. Geld stinkt also doch!

Eine Besondertheit der Vereine besteht nun darin, dass die die vereinten Menschen umgewandelt werden zu ‘Mitgliedern’. Wurden in früheren Zeiten ‘deutsche Männer, deutsche Frauen’ aufgerufen, so hat sich das zu einem Neutrum: das Mitglied, gewandelt. Allerdings lässt sich nicht schlüssig beantworten, ob es nun ‘fortschrittlich’ ist, dass der Mann und die Frau neutralisiert werden - in dem Sinne von Gleichberechtigung - oder ob sich darin eine Infantilisierung - analog zu ‘das’ Kind - ausdrückt. Wenn man das Hick-Hack in manchen Vereinen betrachtet, spricht vieles für die zweite Möglichkeit.

Das ‘Vereinsleben’ hat seine eigenen Gesetze. Als lebendiger Organismus hat der Verein entsprechend einen Kopf (nennt sich: Vorstand), einen Körper (die Mitglieder), einen systematischen Aufbau (die Satzung) eine Stimme (das Mitteilungsblatt), ein Herz (den Kassierer), einen Blutkreislauf (die Sitzungen und Treffen), nimmt feste Nahrung (Mitgliedsbeiträge) und Flüssiges zu sich (das tun die Mitglieder) und, das Wichtigste: er besitzt etwas, was dem einzelnen Menschen an sich manches mal verloren geht: er hat einen existentiellen Sinn (das Anliegen oder der Zweck des Vereins).

Folgerichtig gibt es junge und alte Vereine, lustige und lahme, biedere und extravagante, arme und reiche, ...also alles, was das Leben so bunt macht ... und noch mehr.

Per Gesetz sind die Vereine ‘demokratisch’ organisiert, mit anderen Worten: republikanisch. Wie vereinbart es sich dann aber damit, dass zu den Höhepunkten des Jahreszyklus bestimmter Vereine ‘Prinzen’ und ‘Könige’ vorhanden sind? Die ‘Prinzen’ sind die Karnevalsprinzen (in dieser Zusammensetzung darf man das dann auch ohne Anführungszeichen schreiben - ansonsten würde der Adel e.V. protestieren), ‘Könige’ die Schützenkönige.

Das demokratische daran ist erstens, dass ihre Hoheitlichkeit durch das Vor-Wort eingeschränkt ist, und zweitens, dass sie es nur für ein Jahr sind. Auch die Tatsache, dass sie sich eine ‘Prinzessin’ oder ‘Königin’ wählen - bei der es sich nicht um seine Ehefrau handeln sollte - darf uns nicht verwirren Das ist der bürgerliche Charakter dieses ‘Königtums’: denn bewahre Gott, dass der ’König’ mit seiner ’Königin’ anbandeln würde. Das ist doch nur für so! Da bleibt alles bei der Ehre.

Bei stärkerem sozialen Gefälle besteht die soziale Akzeptanz der Betuchteren darin, dass die anderen auf ihre Kosten saufen dürfen. Das ist der gesellige Sinn des Königtums. Folgerichtig wird vorher ausgeguckt, wer dieses Jahr ‘König’ wird und entsprechend schiessen alle anderen auf der Königsscheibe daneben.

Doch die Sache hat auch einen Haken: gekonnt vorbeischießen ist nicht so einfach wie zielen und der Verein steht dann sehr verdattert da, wenn ein Unbemittelter, aus Versehen, die Krone abschießt. In so einem Jahr muss reihum gesammelt werden.

Doch solche Peinlichkeiten werden dann später zu immer wieder gerne erzählten Anekdoten der Vereinsgeschichte, des „Wisst ihr noch ...“ Und wenn es dann noch eine historische Vereinsfahne gibt, seit Generationen weitervererbt und durch alle Wirrnisse der Weltgeschichte herübergerettet: „Oh, deutsches Herz, erblühe!“ Das kann natürlich nicht irgendjemand singen, sondern - natürlich - wir sind uns da doch völlig einig - nur ein deutscher Gesangverein: „Wo man singt, da lass’ dich nieder! Böse Menschen haben keine Lieder!“.

Aber: Haben Sie es schon einmal geschafft, über die ersten zwei oder drei Zeilen der bekannten deutschen Volkslieder hinauszukommen, ohne in ein textloses Brummen zu verfallen?

Über das Brummen kommt man nur hinaus, wenn man alle Kräfte vereint, und ... so ist es nun einmal. Und da die Sangeskunst eines deutschen Menschen erst beim korrekten Singen beginnt, ist das fröhliche Singen im Bad nicht kultiviert, d.h. vereinsgerecht. Das liegt jedoch nicht nur daran, dass es zwar fröhlich, aber falsch ist, sondern auch daran, dass unter eine Dusche oder in eine Badewanne beim besten Willen nicht die Mindestmitgliederzahl eines Vereines hineinpasst.

Klang früher noch deutscher Sang aus kerniger Männerbrust, so ist das Singen heute eine Domäne der Frauen geworden. Entsprechend anständig geht es dort auch zu und die Zahl der Männer ist am Absinken.

Daraus lässt sich generell ableiten, dass in der Vereinsarbeit ein Zusammenhang zwischen ideellen Zwecken und Frauenanteil besteht: Je ideeller, desto mehr Frauen. Insofern spricht ein Frauenanteil dafür - und je mehr, desto mehr - dass der Verein tatsächlich das ist, was er vorgibt, zu sein.

Von wegen, Vereine seien männlich!

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