Die ZEHN GEBOTE

 

„Meine Damen und Herren, wir begrüßen heute Abend den besten Werbetexter aller Zeiten. Guten Abend!“

Guten Abend.“

„Der Einfall war genial. Wenige Sätze, die schon seit ein paar Jahrtausenden unverändert von ‘Moses, Partner und Freunden’ weltweit verbreitet werden. DU bist damit einer der erfolgreichsten Texter der Geschichte.“

Das stimmt so, ohne Erläuterungen, leider nicht.“

„Wie ist es denn richtig?“

Moses wollte damals nicht die ‘Zehn Gebote’ von MIR!“

„Nein?“

Nein! Darüber haben wir lange verhandelt.“

„Wie viele wollte er denn?“

Eins!“

„Wie, nur eins?“

Ja. ‘Alles hört auf mein Kommando!’ war sein Vorschlag. Als Alternative schlug er noch vor: ‘Ich sage euch, wo’s langgeht!“

„Und DU wolltest nicht?“

Das fand’ ich zu wenig eindeutig. Auf wen sollten die Leute denn nun hören: auf ihn oder auf mich?“

„Das wäre doch klar gewesen.“

Klar? Klar war gar nichts. Wenn er mit dem Text vom Berg heruntergekommen wäre und hätte verkündet ‘Alles hört auf mein Kommando!’“

„Und da hast DU ihn auf ”šZehn Gebote’ festgenagelt?“

Zehn? Ich wollte nicht zehn.. ICH wollte einhundertdreiundfünfzig!“

„Gott! So viele?“

Wieso viele? Das waren nur die Leitsätze. Die Unterpunkte waren dann summa summarum dreiundzwanzigtausendvierhundertundneun Sätze.“

„Wie hätte ihr die denn überhaupt notieren können?“

ICH war für eine lange Papyrusrrolle.“

„Wie unpraktisch.“

Hat Moses auch gesagt. Er wollte etwas Übersichtliches.“

„Und?“

Ich habe ihm vorgeschlagen, dass ich es an den Himmel schreibe. Statt Wolken hätten dann da immer Leitsätze am Himmel gestanden. Fand ich sehr symbolisch und abwechslungsreich. Und die Leute hätten immer etwas zu lesen gehabt.“

„Und warum hast DU es nicht gemacht?“

Moses meinte, die Leute könnten nicht lesen. Das hatte ich vergessen.“

„Und dann?“

Ich habe ihm einen großen Zettel angeboten.“

„Ja?“

Wollte er nicht. Er meinte, bei dem Scheißklima, was ich da installiert hätte, andauernd Hitze und Kälte und Überschwemmungen und Dürren, müsste es etwas Haltbareres sein.“

„Deshalb die Steintafeln?“

Nein, nicht doch. Ich fand ja Ziegenleder besser. Es war reichlich vorhanden und leichter als Steine.“

„Und Moses?“

Moses meinte, die könnten ihm zu leicht gestohlen werden. Also haben wir uns auf Steintafeln geeinigt.“

„Deshalb also.“

Ja schon. Aber damit hatten wir dann ein neues Problem. Wie sollte er die einhundertvierundsechzig Steintafeln mit den dreiundzwanzigtausendfünfhundertzweiundsechzig Sätzen alleine den Berg hinunter tragen?“

„Deshalb wurden es also weniger?“

Ja. Moses wollte nur zwei Tafeln. Eine auf dem rechten und eine auf dem linken Arm. Schon auf dem Rücken wollte er keine dritte mehr tragen.“

„Warum denn das nicht?“

Er meinte, man solle seinen Leuten niemals den Rücken zudrehen, denn ‘DU weißt nie, was sie dann tun’.“

„Darauf hast DU Dich dann eingelassen?“

Nicht gleich. Ich wollte wenigstens meine einhundertdreiundfünfzig Leitsätze auf die Tafeln schreiben. Das wäre technisch auch gegangen.“

„Und warum hast Du es dann nicht getan?“

Es hätte ihm zu lange gedauert, alles vorzulesen, und dann war ihm auch die Schrift zu klein.“

„Die Schrift zu klein?“

Ja, sicher. Die Leute in den letzten Reihen sollten auch ohne Brille erkennen können, dass da etwas geschrieben stand. Vielleicht konnte ja doch einer lesen.“

„Deshalb also zehn?“

Darauf haben wir uns dann geeinigt. Sein Argument war, wenn ich dem Menschen nur zehn Finger mitgegeben hätte, dann könnten die Leute auch nicht weiter zählen. Es war also mein Fehler.“

„Wieso Fehler?“

Bitte: Mein Fehler. Wenn ich den Mensch mit einhundertdreiundfünfzig Fingern gemacht hätte...“

„Verstehe, DU musstest also nachgeben.“

Ich weiß, zwischen dem einem Satz, den er wollte, und meinen einhundertdreiundfünfzig Leitsätzen war das ein schlechter Kompromiss. Aber immerhin noch besser als nur einen Satz. Obwohl...“

„Obwohl?“

Ich wollte ja eigentlich lieber ‘Empfehlungen’, aber Moses wollte ‘Befehle’.“

„Und da habt ihr euch dann auf ‘Gebote’ geeinigt?“

Ja. ‘Gebote’ kennen die Leute aus der Straßenverkehrsordnung. Man soll das tun, was geboten wird, aber wenn man es nicht tut, ist es auch nicht so schlimm.“

„Verstehe.“

Ich wollte den Leuten doch nur Richtlinien geben. So selten wie ich da bin, sollten die Menschen schon alleine entscheiden müssen.“

„Aber die Praxis...“

Ich weiß, wenn man etwas aus der Hand gibt und nicht ständig anwesend sein kann, machen die Leute dann doch das, was sie eigentlich vorhatten.“

„Du meinst, Moses?“

Nicht nur den, auch seine Nachfolger auf dem Heiligen Stuhl.“

„Und was machen die?“

Die sagen, ich hätte gesagt, dass die Leute ihnen glauben müssen, wenn sie sagen: ‘Alles hört auf mein Kommando’. Und, ich habe es gewusst, mit dem ‘mein’ meinen sie natürlich sich selbst.“

„Tja, da kann man wohl nichts machen?“

Doch man kann. ICH, zum Beispiel, hab mir eine andere Werbeagentur gesucht.“

 

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